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AutorenbildSeverin (Was Tun?)

Israel, Palästina und die Schweiz

Der imperialistische Charakter der Schweiz tritt im Vergleich zu anderen Staaten weniger deutlich auf. Doch der Imperialismus muss als Gesamtsystem analysiert werden, in welchem die Schweiz trotz vermeintlicher Neutralität und Vermittlerin “guter Dienste” eine klare Stellung hat. Die Schweiz gehört dementsprechend dem gleichen imperialistischen Block wie Israel (und die USA, EU etc.) an. So liefern schweizer Firmen praktisch keine Waffen an Israel, tatsächlich möchte der Bundesrat “Steigerung des militärischen Potenzials des israelischen Staates” (1) durch schweizer Waffen vermeiden. Wo würde aber die Notwendigkeit liegen? Deutschland und die USA, welche Hauptexporteure von Waffen nach Israel sind (2), sind beide unter den drei top Importeuren schweizer Waffen. (3) Auch werden verschiedene “dual use” Güter nach Israel exportiert (also Güter, welche sowohl militärische wie zivile Anwendungsbereiche haben). Diese Exporte der Schweiz stellen natürlich nicht den dominanten Faktor dar, welcher Israels Genozid in Gaza ermöglicht. Doch als Internationalist:innen müssen wir uns mit aller Macht wehren, auch nur “Zünglein an der Waage” der Verbrechen des Imperialismus zu werden. Daher schockiert es trotzdem, dass schweizer Unternehmen nur schon seit Oktober “Tarn- und Schutzfarben für Panzer, Laborsterilisatoren, Hybridschaltkreise, neuromorphe Prozessoren (Chips mit künstlichen Neuronensystemen), Vollschutzanzüge mit integrierten Luftkanälen, eine 2D-Laserschneidemaschine und chemische Komponenten, die in der Nuklear- und Elektronikindustrie verwendet werden können” (4) nach Israel schickten. Auch in die andere Richtung gibt es bemerkenswerte Zusammenarbeit. So hat die israelische Rüstungsfirma Elbit Systems seit 2019 einen Standort in der Schweiz, um bei der Erneuerung des schweizer Militärs nachzuhelfen (bspw. durch einen 300 mio. CHF schweren Auftrag zur Ersetzung der Funkgeräte). (5)


Die offizielle Position der Schweiz gegenüber Israel bezieht sich stark auf UN-Resolutionen, dort hat sie auch für die Jahre 2023/24 einen Sitz im Sicherheitsrat. Dementsprechend unterstützt sie in dieser und vorherigen Eskalationen einen humanitären Waffenstillstand und ruft alle Parteien zur Einhaltung des Völkerrechts auf. Auch will sie auf die Anerkennung eines palästinensischen Staates hinarbeiten und kritisiert die illegalen israelischen Siedlungen im Westjordanland. Auch mit der Hamas wurde bis vor kurzem ein Dialog geführt. Wie Ignazio Cassis im Parlament erklärte: “Die Guten Dienste der Schweiz sind auch in diesem Fall nützlich. Die Guten Dienste der Schweiz können erst erbracht werden, wenn die Schweiz so weit als möglich ihre neutrale Position behält und den offenen Dialog mit allen Teilen garantiert”. (6)


Man könnte fast meinen, unsere Regierung sympathisiert mit dem Leiden der Palästinenser:innen. Auch die Forderungen der pro-Palästina Demonstrationen weichen oberflächlich nicht zu stark von den Positionen der offiziellen Schweiz ab - der Waffenstillstand und Appelle an das Völkerrecht nehmen dort eine dominante Stellung ein.


Doch dies wäre falsch gedacht, dementsprechend fokussiert sich ein grosser Teil der Bewegung völlig richtig auf die Kritik der passiven Komplizenschaft der Schweiz und ihrer Institutionen (bspw. der Unis) mit dem Genozid. Immer wieder machen die Vertreter:innen der Schweiz Aufmerksam auf den „legitimen Willen Israels zur nationalen Verteidigung und Sicherheit“. (7) Während im Oktober schnell das Verbot der Hamas eingeleitet und von Ignazio Cassis bekundet wurde, dass nun „die Zeit des Krieges“ (8) sei, begnügt sich unsere herrschende Klasse mit leeren Worten der Kritik an der Kriegsführung Israels. Diese Heuchelei muss allen offensichtlich werden. Während Israel die Gründung eines palästinensischen Staates auf friedlichem Wege verunmöglicht und mit brutalen Militäroffensiven regelmässig “den Rasen mäht” (9), wird eine solche Ideologie und Vorgehensweise bei der Hamas kritisiert: “Die Verweigerung der Existenz Israels und die Verteidigung des bewaffneten Kampfes durch die Hamas als legitimes Mittel des Widerstandes ist für die Schweiz eine inakzeptable Position” (Ignazio Cassis). (10)


Was liegt dahinter? Die Schweiz ist einer der wichtigsten Handelspartner:innen Israels. Zeitweise gar die drittgrösste. (11) Das drückt sie u.a. durch das Freihandelsabkommen der European Free Trade Association (EFTA) mit Israel aus. Die MENA (Middle East and North Africa) Strategie der Schweiz sagt eigentlich schon klar, um was es geht: während sowohl in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten der Friedensprozess gefördert werden sollte, werden mit Israel “die Beziehungen im Wirtschafts- und Finanzdienstleistungsbereich weiter intensiviert, um israelischen und schweizerischen Unternehmen gegenseitig einen besseren Marktzugang zu verschaffen”. Palästina hingegen muss zuerst eine nennenswerte Wirtschaft (und überhaupt einen Staat) aufbauen, um weniger von humanitärer Hilfe abhängig zu sein. (12) Übersetzt: in Palästina gibt es nichts zu holen. So wuchsen in den letzten Jahren die Exporte der Schweiz nach Israel um ein vielfaches gegenüber dem BIP-Wachstum. Im Zeitraum 2017-22 wuchsen die jährlichen Exporte durchschnittlich um 27.6%! (13)


Es ist offensichtlich, dass die Schweiz trotz vereinzelten Lippenbekenntnissen stramm auf der Seite Israels steht. Dies hat Geschichte: schon im Sechstagekrieg 1967 waren arabische Staaten besorgt um die Parteinahme der Schweiz. (14) Dass aber heute mehr und mehr auch nur der Versuch aufgegeben wird, neutral zu erscheinen und die “guten Dienste” der Schweiz als Vermittlerin anzubieten stellt doch eine gewisse Zeitenwende dar. Die Bewegung an den Unis macht so bspw. auf den kuriosen Fakt aufmerksam, dass im Krieg um die Ukraine die Schweiz (und damit ihre Unis) sich klar gegen Russland positionieren. Sie übernimmt Sanktionen, friert Vermögenswerte russischer Oligarch:innen ein und war im Juni 2024 im Bürgenstock Gastgeberin einer “Friedenskonferenz”, an der Russland selber nicht präsent war. 


Der Unterschied ist so deutlich, wie der dahinterliegende Grund der gleiche ist: in der Ukraine handelt es sich primär um einen zwischen-imperialistischen Konflikt. Weder die USA, noch Deutschland oder die Schweiz unterstützen die Ukraine aus humanitärer Motivation, sondern sie soll als Halbkolonie des Westens erhalten bleiben. Es stimmt also völlig, dass sich die Ukraine gegen den russischen Imperialismus wehrt (theoretisch ein legitimer Widerstand!), dieser Fakt dient jedoch nur als Vorwand, solange ihre zunehmende Abhängigkeit von den USA und anderen westlichen imperialistischen Staaten garantiert ist. In diesem Kampf um die Neuaufteilung der Welt kann sich die Schweiz immer weniger heraus halten. Die Schweiz muss sich zunehmend unter die USA und EU unterordnen. Dies drückt jedoch selber keine neuen Umstände aus, sondern die anfangs erwähnte Zugehörigkeit der Schweiz zum “westlichen Block” des Imperialismus, nur dass ihre Rolle in diesem Block sich nun verändert.


Und dies erklärt letztlich die extreme Treue gegenüber Israel sowie die einzigartige Repression gegen die palästinasolidarische Bewegung. Die Schweiz ist keinesfalls Opfer des Imperialismus, was aber nicht bedeutet, dass sie nicht gewissermassen unfreiwillig eine neue Rolle darin annimmt. Israel kann als Aussenposten des US-Imperialismus im Nahen Osten trotz einer historischen Eskalation immer weniger in Frage gestellt werden. Dahinter gruppieren sich praktisch alle Staatstragenden Institutionen der Schweiz: ob SVP oder SP, die bürgerliche Presse oder die Gewerkschaften. Die “Selbstverteidigung Israels” ist das offizielle Narrativ, welches nicht in Frage gestellt werden kann, die humanitäre Hilfe ist weit dahinter in den Prioritäten.


Wir dürfen dies nicht als isolierte Episode betrachten. Wir befinden uns in ganz Europa in einer Phase des Rechtsrutsches und der Militarisierung. Auch wenn wir hier in der Schweiz von gewissen der schlimmsten Folgen davon ausgenommen sind (z.b. die umfassende Aufrüstung und offene Propaganda hin zur “Militärtüchtigkeit”, wie wir sie in Deutschland beobachten), gehen wir in die gleiche Richtung. Weder die Repression gegen eine soziale Bewegung noch die de facto Unterstützung einer Kriegspartei durch die schweizer Regierung werden lange eine Neuheit bleiben. Die pro-Palästina-Bewegung wird sich als Anfang einer langen und komplexen Auseinandersetzung um die Grundwerte der Arbeiter:innenbewegung erweisen: um den Internationalismus und damit den Kampf gegen imperialistische Kriege. Nicht nur gegen unsere Regierung, die Medien und die herrschende Klasse - sondern auch gegen die reformistische und verräterische Führung der Arbeiter:innenklasse - richtet sich diese Auseinandersetzung.


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