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Arbeitskämpfe in der Stahlindustrie: Gegen jede Entlassung! Kein Vertrauen in Parlament und Regierung!

Ernst Stierlin

Den aufmerksamen Beobachter*innen wird es keine Neuigkeit gewesen sein, als Ende 2024 in Gerlafingen und Emmenbrücke Massenentlassungen und Umstrukturierungen in den zwei schweizer Stahlwerken angekündigt wurde. Noch im April 2024 schrieb der SRF: Die beiden letzten Stahlwerke der Schweiz sind mit erheblichen finanziellen Schwierigkeiten konfrontiert. Trotz zahlreicher Hilferufe stossen sie beim Bund auf taube Ohren”. Schon 2022 kam die Motion in die Räte, dass die Stahl- und Aluminiumwerke unterstützt werden sollten. Wo die Regierung scheinbar keinen Handlungsbedarf sieht, schwenken diese dann wieder ein und mit einer “gestaffelten Entlastung der Netznutzungsgebühren" (also dem partiellen Erlass dieser Gebühren über die nächsten Jahre) soll der Druck von den Unternehmen genommen werden. Soweit ist das für Stahl Gerlafingen genügend und die Entlassungen wurden zurückgenommen. Doch der Horizont der Vorlage, auch wenn sie für mehrere Jahre vorgesehen ist, geht nicht allzu weit. Noch nach der Mobilisierung Gerlafingens und vor der Zustimmung des Ständerats gibt die deutsche Firma Thyssenkrupp Pläne zu weitaus grösseren Massenentlassungen bekannt, die Krise bspw. der deutschen Autoindustrie, zunehmende Handelshemmnisse (welche mit einer zweiten Amtszeit von Trump wahrscheinlich nur zunehmen werden) und die globale Überproduktion werden dem schweizer Stahl zu schaffen machen. 


Derweil ist die Debatte um die Rettung primär von zwei Narrativen geprägt: Massenentlassungen sind asozial und der produzierte Stahl ist systemrelevant. Während dies beides stimmt und wir die Kämpfe gegen die Entlassungen bedingungslos unterstützen, möchten wir hier einen kritischen Blick auf die Strategie und das Messaging der Gewerkschaften richten, die Hintergründe der Krise des schweizer Stahls erläutern und die eigentliche Frage klären, welche die diversen Gruppen links der SP beschäftigt, die sich an der Kampagne beteiligten: wie können diese Kämpfe ausgeweitet und vertieft werden? Welche Lehren ziehen wir daraus? Wie kommen wir vom defensiven Kampf gegen Entlassungen zu einem offensiven Kampf für soziale Forderungen und die Überwindung dieses Systems überhaupt?


Hintergrund: Stahl auf dem Weltmarkt


Dass die schweizer Stahlindustrie in der Krise steckt, hat natürlich Hintergründe. Die Stahlindustrie wird global massiv subventioniert. Ein markantes Beispiel ist die Volksrepublik China, deren Massnahmen zur Unterstützung der eigenen Industrie schon seit Jahren vorgeworfen werden, sie würden darauf abzielen, die internationale Konkurrenz zu untergraben und zu unterminieren. Auch in den Handelskonflikten nimmt Stahl eine grosse Rolle ein; in der ersten Amtszeit Trumps hat dessen Administration Strafzölle erlassen, unter anderem gegen China und die EU. Auch die EU hat daraufhin Kontingente gegen Drittstaaten eingeführt, welche heute noch in einer abgeschwächten Form wirken und auch den schweizer Export hindern. Neben China finden sich einige weitere imperialistische Großmächte in der Liste der grössten Stahlproduzenten; darunter die EU, USA und Russland. Gerade diese Staaten haben die Kapazität, durch staatliche Massnahmen die eigene Industrie protektionistisch vor dem Weltmarkt zu schützen oder ihnen durch verschiedenartige Subventionen im Weltmarkt bessere Bedingung zum Absatz der eigenen Ware zu bereiten. Gemessen an den “Bedürfnissen” dieses Weltmarkts sind die zwei schweizer Stahlwerke tatsächlich nicht besonders wichtig. Exporte in die EU sind erschwert und in der Schweiz selber konkurriert der (teils rezyklierte) schweizer Stahl mit subventioniertem Produkt aus dem Ausland. Zusätzlich ist die Stahlindustrie darauf angewiesen, dass jene Industrien und Branchen, denen sie ihren Stahl liefern auch fähig sind, ihnen diesen abzunehmen. Im Zeitalter der umsichgreifenden wirtschaftlichen Krise mag dies zumindest kurzfristig unwahrscheinlich erscheinen. Insgesamt haben wir es in der Stahlindustrie global mit einer Überproduktion zu tun, die ganze Branche existiert heute nur so, da sie von den jeweiligen Regierungen erhalten wird. Dahinter stehen primär imperialistische Interessen, was später noch ausgeführt wird. Doch auch langfristige Ziele wie der Klimaschutz und Innovationen in der Produktivität und den verbrauchten Ressourcen sind Motive. Der Staat kann eine solche Stütze nur für einige Industrien sein, nicht für die gesamte Wirtschaft. Da die Stahlindustrie bspw. in Deutschland von der Autoindustrie und in China von der Baubranche abhängig ist, und diese selber zunehmend Krisenmerkmale zeigen, sieht es nicht gut aus für den schweizer Stahl. Ohnehin kommt die Schweiz mit ihrer halbherzigen Unterstützung der zwei verbleibenden Werke sehr spät auf das Parkett und es ist klar, dass sie keine nachhaltige Lösung bietet. 


Unia und Syna: Schweizer Gewerkschaften in der Sackgasse?


Die Strategie der Gewerkschaften ist vorerst aufgegangen, das Parlament hat über eine finanzielle Spritze (realisiert über die Übernahme der Stromkosten) dem Betrieb die Investition verringert. Über dieses Paket werden den Werken von Bund und Kantonen über vier Jahre ca. 25 mio. CHF Kosten erlassen. Dies, wie auch Kurzarbeit (welche faktisch Produktivkräfte abbaut, jedoch einen Teil des Gehalts erhält, und welche durch den Kanton abgesichert ist) soll die schweizer Stahlindustrie vor der internationalen Konkurrenz schützen. Sogar Einschränkungen, bspw. keine Auszahlung von Boni, wurden dem Deal auferlegt, welchen Stahl Gerlafingen angenommen hat, während sich Steeltec Emmenbrücke vorerst noch enthält. In Gerlafingen hat dies dafür gereicht, dass die Entlassungen (vorerst) zurückgenommen wurden. In Emmenbrücke wurde an den Umstrukturierungen festgehalten und damit auch an 50 Entlassungen (zuvor waren 80 angekündigt worden). 

Ohne Frage haben die Gewerkschaften den bedeutenden Effort geleistet, diese Parlamentsmehrheit zustande zu bringen. Neben ihrem primären Milieu von SP und Grünen konnten die Gewerkschaften auch die bürgerlichen Überzeugen (insbesondere die Mitte), was sicherlich auch an der gemeinsamen und koordinierten Mobilisierung von Unia und Syna gelegen hat. Ebenfalls war die gewerkschaftliche Stärke des Standorts Gerlafingen entscheidend und damit der schon bestehende Einfluss auf die örtlichen Politiker*innen durch die Verbindung zum Kleinbürgertum (welche auf die Löhne der Arbeiter*innen in der Region angewiesen sind, um ihre Waren zu verkaufen und nicht einfach an die schweizer und internationalen Monopole zuliefern können). Letztlich waren die Forderungen der Gewerkschaften so minimal, dass sie von den Bürgerlichen zumindest ideologisch nicht schwer zu schlucken waren. Wir sind zwar in einer Zeit der zunehmenden Krise, doch gerade die imperialistische Neuaufteilung, bzw. der Schutz vor dieser Neuaufteilung und somit die Rettung der “eigenen” Betriebe, kann zu Ausgaben motivieren, welche sich die Schweiz durchaus (zumindest kurzfristig) leisten kann. Doch die wesentliche Unterstützung des Staates macht von dessen Interessen abhängig. Die Rettung von Stahl Gerlafingen und Steeltec (und es ist die Rettung primär der Betriebe und nur sekundär oder tertiär  der Arbeiter*innen) kostet im vgl. zur Rettung der Grossbanken UBS und CS praktisch nichts (100 mio. für die vier Werke, denen der Deal angeboten wurde vs. weit über 200 mrd., welche für die CS locker gemacht wurden). Auch wenn dieses Investment vorerst gering ist, möchte sich aber der Bundesrat viel lieber auf die Verwaltung des imperialistischen Kapitals fokussieren, was auch die Absicherung der UBS und Grosskonzernen bedeutet. Wenn der Bundesrat signalisiert, dass er zunehmend andere Zweige des Kapitals stärken will, kann dies das Gleichgewicht schnell tippen. Ob kurz oder lang ist sich der Bundesrat bewusst, dass er die UBS wieder retten und/oder anderweitig heftig wird intervenieren müssen. Den Fokus zu verschieben ist potenziell hochriskant. 


So oder so entkommt die Schweiz der zyklischen Krise nicht, während die generalisierte organische Krise des internationalen Kapitalismus spätestens seit 2020 immer am Horizont zu schweben scheint. Unser Programm ist klar: wir müssen dieses System überwinden und die Strategie der Arbeiter*innenbewegung auf dieses Ziel ausrichten. Das bedeutet nicht, dass Taktiken wie diese Kampagne für uns nicht unterstützenswert sind. Auch eine revolutionäre Bewegung, sollte sie einmal entstehen, könnte ähnliche anwenden (Verhandlungen mit dem Bundesrat, Vorlagen im Parlament). Die langfristige Strategie der Gewerkschaften jedoch ist auf die Kooperation mit dem schweizer Imperialismus gerichtet. Zum Guten wie zum Schlechten sind sie also an die Krisenzyklen gebunden. Es ist selten, dass sich die Gewerkschaften überhaupt in diesem Ausmass für einen spezifischen Arbeitsplatz einsetzen (u.a. ist dies sicher der Fall wegen dem starken Organisationsgrad in der Industrie und spezifisch in Gerlafingen). Doch trotz all ihrer Schwächen und der Klassenkollaboration durch ihre Spitze und Teile ihrer Bürokratie sind die Gewerkschaften verwurzelt in der Arbeiter*innenklasse. Sie werden also immer wieder trotz der eigentlichen Kollaborations-Strategie der Spitzen und der SP, Grünen etc. (gerade in der Syna sind auch einige bürgerliche Politiker*innen organisiert) dazu gezwungen werden, Kämpfe aufzunehmen und sie mehr oder weniger konsequent zu führen. Wir müssen uns in solchen Situationen einerseits klar gegen diese Strategie der unkämpferischen Klassenkollaboration wenden, als auch andererseits die Kampagne unterstützen. Das bedeutet aber auch, die Grenzen der Kampagne aufzuzeigen, gerade im Kontext der verräterischen Strategie. Nun da die Geschächtsleitung von Steeltec trotz der Mobilisierungen an den Entlassungen festhält, können wir die unkämpferische Strategie der Gewerkschaften auch klar erkennen: Sie können sich kaum dazu überwinden, einen kämpferischen Ton anzustossen. Nach der gescheiterten Konsultation mit der Geschäftsleitung wenden sie sich stattdessen an die Aktionär*innen, speziell an Mehrheitsaktionär Martin Haefner. Dieser soll der Geschäftsleitung einreden, den Deal doch anzunehmen und die Entlassungen sanfter zu gestalten. Für die Arbeiter*innen selbst hingegen sieht die Gewerkschaftsführung keine aktive kämpferische Rolle vor, die über ihre Mobilisierung an Demonstrationen hinausginge. 


Klimastreik: Chancen und Gefahren der ökologischen Rückendeckung


Wir haben nun also bereits zwei zentrale Aspekte beleuchtet:  Einerseits ist die Krise der schweizer Stahlindustrie sowohl auf die zyklische Krise des Kapitalismus, v.a. des schweizer und des EU-Marktes, als auch auf die aggressive Wirtschaftspolitik v.a. Chinas zurückzuführen. Und andererseits haben wir umrissen, wie es im Interesse des schweizer Imperialismus sein kann, eigene Industrien zu schützen, gerade wenn diese strategisch nützlich sind, und dass jedoch die Stahlindustrie für den Bundesrat nur nebensächlich interessant ist. Die Kräfte, die zur Unterstützung der Unternehmen geführt haben, basieren auf den Partikularinteressen gewisser Teile der Industriellen (denn auch in der Leitung der Werke, welche diese Förderung angenommen haben, wird es Differenzen geben, wenn es um die Strategie des Unternehmens geht), auf den Gewerkschaften und Beschäftigten und daneben auch noch auf dem Klimastreik und diversen kleinere Gruppen der radikalen Linken. Vor allem der Klimastreik hat eine mediale Kampagne verfolgt, Kontakte in den Gewerkschaften und unter den Beschäftigten aufgebaut und intensiviert und sich an der Mobilisierung beteiligt. Gewisse Gruppierungen wie die Bewegung für den Sozialismus (BfS) konnten durch ihre Verbindungen in der Unia auch eine gewisse Rolle übernehmen, sind aber nicht in den Betrieben verankert. Im Messaging konnte so die Systemrelevanz, gerade für den ökologischen Umbau der Industrie, ziemlich zentral platziert werden. Die Argumentation dazu, welche sich v.a. auf den Fakt bezieht, dass in Gerlafingen und Emmenbrücke Stahl rezykliert wird und eine lokale Produktion durch kürzere Wege effizienter ist, kann beim Klimastreik nachgelesen werden


Es gibt sowohl positive wie auch negative Aspekte dieser Unterstützung des Klimastreiks zu benennen. Einerseits erlaubt es die Offenheit der Bewegung, dass sich verschiedene Teile verschiedensten Themen zuwenden können, wie bspw. nun in dieser Kampagne. Andererseits ist das Programm der Bewegung zu breit und heterogen, als dass sie eine klare, revolutionäre Perspektive für diesen Kampf bieten könnte. Einerseits ist der Klimastreik die zentralste Kraft in dieser Mobilisierung zum Erhalt der Arbeitsplätze, welche militante Kampfmethoden erwähnt (Streiks, Besetzungen etc.). Andererseits nennt auch der Klimastreik solche Methoden nur als Fallback, falls die Strategie der Gewerkschaften nicht aufgehen sollte. Während die vorgeschlagenen Methoden ergänzt werden, bleiben die Forderungen ähnlich milde wie diejenigen der Gewerkschaftsführung und richten sich an eine undifferenzierte Öffentlichkeit, kaum jedoch an die Gewerkschaften oder die Arbeiter*innen. Zwar gibt es Sympathien für die Idee der Verstaatlichung bzw. Vergesellschaftung, bisher dringt aber noch keine Losung zur Umkehr dieses Defensivkampfes in einen Offensivkampf (unter dessen Bedingungen erst Forderungen wie Verstaatlichung etc. umgesetzt werden könnten  denn der Bundesrat wird nicht von sich aus und ohne Druck auf die Idee kommen, die Stahlindustrie dem Profitmotiv zu entreissen) an die Öffentlichkeit. Auch wo der Vorschlag der Verstaatlichung bzw. Vergesellschaftung aufkommt, bleibt er relativ abstrakt, da offen gelassen wird, welche Kraft (und damit welche Klasse) die Verstaatlichung vollziehen soll; wessen Staat erhält die Macht über die Stahlindustrie? Wir können dem Bundesrat nicht trauen, die Stahlindustrie der Schweiz zu führen oder ökologische Massnahmen durchzusetzen, auch wo sich mit der Ökologie und der Industrie politik zwei potenziell starke Motive kreuzen (das “Rettungspaket” ist doch eine kurzfristige Massnahme). Wiederum bedeutet dies nicht, dass wir die Forderung nach Verstaatlichung durch den bürgerlichen Staat nicht unterstützen können, sofern sie den Kampf der Arbeiter*innen um ihre Arbeitsplätze und Lebensbedingungen unterstützt und die Massen mobilisieren kann. 


Wir müssen aber den vorprogrammierten Verrat von Bundesrat und Parlament aufzeigen, wie auch, dass sie zu allem Guten gezwungen werden müssen. Wir müssen also auch aufzeigen, dass der Aufbau einer Gegenmacht das einzige strategische Ziel sein kann, welches die Arbeitsplätze langfristig garantiert. 


Auch lassen sich Widersprüche erkennen in der Signalisierung der Perspektiven des Klimastreiks. Es ist völlig richtig aufzuzeigen, dass es eine negative Entwicklung wäre, wenn diese Arbeitsplätze verloren gingen und die Betriebe schlössen, sowohl für die Arbeiter*innen als auch für den ökologischen Fussabdruck der internationalen und schweizer Stahlindustrie. Dies ist die Essenz des Defensivkampfes. Genauso richtig ist es, dass heute, in der Zeit der zunehmenden und sich intensivierenden Wirtschafts- und Klimakrise ein solcher defensiver Kampf ein bewundernswerter Erfolg ist, wenn er seine Ziele erreicht. Doch wie mit anderen Methoden (Initiativen/Referenden) ist die Rückendeckung durch die Klimabewegung meist nicht ohne ihre eigenen Risiken. Die Bewegung muss sich ihren Zielen und den Stadien der verschiedenen Kämpfe, in denen sie sich befindet, bewusst sein und die korrekte Perspektive erarbeiten. Klar ist, dass es diese Diskussionen gibt und viele Aktivist*innen im Klimastreik ähnliche Meinungen wie die dargelegte vertreten. Doch solange die Massen der Arbeiter*innen, und insbesondere nun auch bspw. die kämpfenden Arbeiter*innen in Gerlafingen und Emmenbrücke, diese Diskussionen nicht erreichen, bleibt das Ziel des Klimastreiks diffus und schwer zu erreichen, auch wenn es bedeutend radikaler sein mag (oder von den Aktivist*innen des Klimastreiks so verstanden wird), als es diese konkrete Kampagne zu sein scheint.


Die Neuaufteilung der Welt: Keine Zukunft im Imperialismus


Ein weiterer Aspekt ist, dass die ökologische Perspektive und die tragende Rolle der Gewerkschaften und Beschäftigten alleine noch nicht den bürgerlichen Charakter dieser Kampagne überwinden. Wir erkennen dies am ausgeklammerten Aspekt des Imperialismus, sowohl in der Kampagne der Gewerkschaften (was zu erwarten war), als auch des Klimastreiks und im wesentlichen der kleineren Gruppen, welche die Kampagne unterstützten (mit einigen Ausnahmen, bspw. der Intervention der Marxistisch-Leninistischen Gruppe Schweiz; MLGS). Dieser Faktor mag einer oberflächlichen Analyse nach sekundär erscheinen und im Sofortprogramm gegen Entlassungen nimmt er natürlich vorerst keinen konkreten Charakter an. Doch wie schon dargelegt, durchdringt der imperialistische Charakter der Schweiz die “bürgerliche Kampagne” für die Stahlindustrie. David Roth, SP-Nationalrat aus Luzern, hat bspw. an der Kundgebung in Emmenbrücke im Dezember klar gemacht, wo diese bürgerliche Seite steht. Das böse China nutze seine Position als Großmacht in der Stahlindustrie, um die demokratische Welt zu konfrontieren und zu unterwerfen. Es hat seine Richtigkeit, wenn man die Politik der chinesischen Regierung als imperialistisch kennzeichnet. Doch dies soll keine Illusionen in den “demokratischen” Imperialismus der Schweiz und ihrer Verbündeten (EU, USA etc.) schüren. Nicht zuletzt ist Trump ein Ausdruck jenes Teils der US Bourgeoisie, welche diesen Handelskrieg selber ausfechten und ausführen will (ob und wie die Pläne Trumps umgesetzt werden, können wir nicht vorhersagen). Diese Konkurrenz der US Industrie richtet sich letztlich auch nicht einfach nur gegen China, sondern gegen alle kapitalistischen Kontrahenten. Die Krise des Gesamtkapitalismus spitzt die zwischenimperialistischen Widersprüche zu, die Großmächte sehen zunehmend das eigene Schicksal gebunden an die Aufteilung der Welt, sowohl der Märkte als auch der Territorien, und der militärischen Macht. Auf allen Ebenen dringt das imperialistische Kapital auf Neuaufteilung. Die Rolle der Arbeiter*innenklasse in dieser Entwicklung ist es nicht, der eigenen imperialistische Bourgeoisie tipps zu geben, wie sie die eigene Strategie zur Neuaufteilung gestalten soll. Solange keine aktive Opposition dagegen existiert und unter Bedingungen der bereits erörterten Unterordnung der Gewerkschaftsspitzen unter die Interessen des Imperialismus unterstützt diese Mobilisierung (mehr oder weniger explizit) die imperialistischen Interessen der Schweiz. Wir sehen es als Aufgabe der Marxist*innen und der Avant Garde in diesen Kämpfen diese Charakteristik der Dynamik klar aufzuzeigen.


Ebenfalls ist in diesen Zeiten, in denen auch die militärische Eskalation der imperialistischen Nuklearmächte immer näher rückt, die Verbindung der sozialen Frage mit dem Imperialismus von enormer Bedeutung. Die zunehmende Krise bringt nicht nur die Stahlindustrie ins Wanken, sondern die politische Krise greift auch in Europa und ausserhalb um sich. Budgetkrisen und Spezialausgaben untergraben seit dem Börsencrash 2008 immer wieder verschiedenste Staaten. Während die Schweiz bis anhin im Vergleich mit praktisch allen anderen Staaten nicht so krass von der Krise betroffen war, muss sie sich doch auch den neuen Umständen anpassen. Zwischen verschiedenen Teilen des Kapitals und daher auch zwischen den verschiedenen staatstragenden Parteien herrscht bezüglich Art der Anpassung an die Krise keine vollständige Einigkeit  deshalb sind auch der Bundesrat und das Parlament teilweise flexibel in einzelnen Fragen. Die bürgerliche Mehrheit in Bundesrat und Parlament (wie auch in den Kantonen und Gemeinden) kann jedoch sehr gut Steuersenkungen und Sparmassnahmen umsetzen, um den Staat und die Unternehmen von “unnötigen” Ausgaben zu befreien und kurzfristig mehr Kapital in das System einzuspeisen. Damit untergraben sich aber Bund und Kantone langfristig und verlieren ihre Flexibilität (da beispielsweise Sparmassnahmen an Schulen oder in der Pflege etc. die zukünftige Entwicklung der Produktivkräfte, also der produktiven Kapazitäten hindern können). Auf der anderen Seite ist die kapitalistische Krise bekantermassen dadurch charakterisiert, dass sie eine Überproduktionskrise ist. Durch Steuersenkungen und Sozialabbau mehr Kapital in die Warenproduktion umzulenken und eine grössere Reservearmee der Arbeit durch mehr Arbeitslosigkeit zu schaffen und zu drücken, fördern zwar produktive Kapazitäten, diese können aber auf dem Markt nicht realisiert werden. Eine Option für die schweizer Stahlindustrie ist langfristig, eine industrielle Reservearmee zu schaffen (durch entlassene Arbeiter*innen der Werke), welche zu einem späteren Zeitpunkt wieder angezapft werden könnte. Die Zusammensetzung der Arbeiter*innen in den Stahlwerken ist aber keineswegs eine bestehend aus klassischen Industriearbeiter*innen, welche wenig bis keine Ausbildung haben. Ein bedeutender Teil der Beschäftigten von Stahl Gerlafingen und Steeltec in Emmenbrücke gehören zu einer relativ privilegierten Arbeiter*innenaristokratie. Sie sind relativ gut ausgebildet, jedoch auch spezialisiert. Das führt einerseits dazu, dass sie weniger Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt haben (gerade auch wegen dem Fehlen der Stahlindustrie, welche sie aufnehmen könnte). Gleichzeitig dominiert diese Schicht der Arbeiter*innenaristokratie auch die Methoden und Ziele der Gewerkschaften, da sie gegenüber den Betrieben einfacher Konzessionen erreichen können (denn die Unternehmen sind von Ihnen abhängig und nicht wirklich flexibel). Durch das Regime der Kurzarbeit statt der Existenz eines umfassenden Sozialstaates und infolge des vergleichsweise hohen Lebensstandard der schweizer Arbeiter*innen ist also eine solche Reservearmee der Arbeit in der Stahlindustrie unmöglich (bzw. ist sie in die EU und Drittstaaten externalisiert). Doch weil der höhere Lebensstandard der schweizer Arbeiter*innen generell und speziell der Arbeiter*innenaristokratie genau von der imperialistischen Ausbeutung schweizer Konzerne abhängt, identifiziert sich die Arbeiter*innenaristokratie zu einem grösseren Masse mit ihrem Betrieb und der imperialistischen Schweiz. Entsprechend ihrer gesellschaftlichen Stellung sind daher auch ihre Methoden nicht wirklich militant, sondern finden eigentlich ihre volle Entfaltung in der bestehenden, verräterischen Strategie der Gewerkschaften; im Klassenkompromiss. Dies zeigt sich deutlich in der “Lösung” der Frage nach Entlassungen; der Betrieb wird gerettet, die Arbeiter*innen dürfen bleiben. Auch wenn es gegen die Bereicherung einiger Shareholder gehen mag, übt der Bundesrat damit nur seine Rolle als “idealer Gesamtkapitalist” aus und garantiert die Bedingungen der Warenproduktion für den Profit.


Fazit


Die Arbeitskämpfe in der Stahlindustrie zählen zu den wichtigsten und grössten Arbeitskämpfen in der jüngeren Geschichte der schweizer Arbeiter*innenbewegung. Sie demonstrier(t)en die bedeutende Macht der Gewerkschaften, sofern sie unter der Belegschaft verankert sind und sich in Bewegung setzen. Sie verdienen die Unterstützung aller linken Kräfte. Doch sie machen auch den bürgerlichen und konformistischen Charakter der grossen Gewerkschaften der Schweiz deutlich. Dieser kennzeichnet sich primär durch den sozialen Frieden, welcher nicht einfach die völlige Unterdrückung jeder Kampfhandlung des Proletariats bedeutet, sondern auch dessen Umlenkung und Irreführung. Die revolutionären Kräfte in der Schweiz können die Gewerkschaften und ihre Spitzen nicht einfach als bürgerliche Agent*innen abtun und ignorieren, genauso wenig dürfen sie aber als einzige Alternative gelten, deren Kampagnen wir unkritisch unterstützen müssen.


Die traditionellen Gewerkschaften wie die Unia sind zur Zeit die entscheidende Führung des schweizer Proletariats. Sie können durch ihren Einfluss und ihre Verankerung dessen Kampf leiten und den Rahmen dieses Kampfes setzen. Als Revolutionär*innen ist es unsere Aufgabe, sie nach unseren Kräften zu unterstützen, jedoch auch exemplarisch zu versuchen, ihren Mitgliedern in letzter Instanz den verräterischen und kapitulatorischen Charakter der Gewerkschaftsführung zu entlarven, sodass unter der Basis der Gewerkschaften und in der Belegschaft der betroffenen Betriebe ein Verständnis für die Rolle und Strategie der Gewerkschaftsführung geschaffen werden kann. Keine Gruppe, Organisation oder Partei der radikalen Linken hat momentan das Vermögen, die Hegemonie dieser Führung ernsthaft herauszufordern  weder können wir durch das Übernehmen einzelner Posten in der Gewerkschaftsbürokratie deren Strategie massgeblich ändern, noch können wir selber entscheidende Kämpfe anführen. Um zu diesem Punkt zu kommen, ist eine ernsthafte und durchdachte Strategie innerhalb der Gewerkschaften notwendig. Revolutionär*innen müssen sowohl die militanten Arbeiter*innen an der Basis der Gewerkschaften organisieren, wie auch versuchen, die Spitzen unter Druck zu setzen. Dies ist keine einfache Aufgabe und kann nur durch exemplarische und ehrliche Interventionen geschehen, welche die Konfrontation mit diesen Spitzen nicht scheut. Dabei geht es nicht darum, die Gewerkschaften und ihre Mitglieder zu antagonisieren und ihre Kämpfe schlecht zu machen. Vielmehr müssen sich die Revolutionär*innen selber als die entschiedensten Kämpfer*innen, als Avant Garde der Klasse herausstellen  diese Erfahrungen können wir nur im aktiven Prozess des Kampfes gewinnen.

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